
Die UNESCO-Kommission hat Nietzsches literarischen Nachlass in das Internationale Register „Memory of the World“ aufgenommen. Der Philosoph, Dichter und Komponist Friedrich Nietzsche (1844-1900) gilt als einer der bekanntesten und einflussreichsten Autoren der Moderne. Die jetzt zum Weltdokumentenerbe erklärten Manuskripte, Notizen, Briefe und Bücher aus dem Nachlass Nietzsches befinden sich heute im Goethe- und Schiller-Archiv und der Herzogin Anna Amalia Bibliothek der Klassik Stiftung Weimar. Hinzukommen einige weitere Handschriften, die im Besitz von Schweizer Institutionen sind.
Der Nachlass von Friedrich Nietzsche (1844-1900) wird Weltdokumentenerbe. Das hat die internationale Unesco-Kommission bei einer Sitzung in Paris am Donnerstagabend entschieden. Die Klassik Stiftung Weimar, die Universitätsbibliothek und das Staatsarchiv Basel sowie die schweizerische Stiftung Nietzsche-Haus in Sils Maria bewahren das Erbe des Philosophen und hatten sich gemeinsam um die Neuaufnahme beworben.
Angesichts seiner globalen Rezeption im 20. und 21. Jahrhundert ist „Nietzsche“ ein einzigartiges internationales und interdisziplinäres Phänomen. Seine Resonanz ist bis heute in vielen Bereichen der kulturellen, sozialen und ästhetischen Forschung lebendig. Aber auch außerhalb akademischer Kreise hat Nietzsche in Kunst, Literatur, Musik und Pop-Kultur große Wirkungen entfaltet. Sein Werk ist eine subtile Reflexion über eine prägende Phase der globalen Modernisierung. Indem Nietzsche über den Aufstieg der Industriekultur, der Naturwissenschaften und der wissenschaftlichen Technik sowie des Geschichtsbewusstseins nachdachte, beobachtete er auch den Verlust der Gewissheit, den Rückgang der gemeinsamen religiösen Orientierung und die Ungewissheit der Zukunft.
„Mit Nietzsches Nachlass erobert ein nächstes Kernthema der Klassik Stiftung Weimar den obersten Rang des Welterbes“, so Stiftungspräsidentin Ulrike Lorenz. „Nach der geretteten Lutherbibel Cranachs und dem schriftlichen Nachlass Goethes richtet diese nobilitierende Entscheidung der UNESCO den Fokus auf die Moderne im Arbeitsspektrum der Stiftung. Und wir freuen uns besonders, dass damit auch unsere Verantwortung für das immaterielle Kulturerbe geehrt wird, der wir genauso leidenschaftlich nachkommen, wie der Bau- und Gartendenkmalpflege in unseren zwölf UNESCO-Welterbestätten Klassisches Weimar und Bauhaus.“
Im Unterschied zu anderen bedeutenden Denkern hat Friedrich Nietzsche seinen literarischen Nachlass nicht selbst geordnet, sondern mit seinem geistigen Zusammenbruch 1889 nahezu vollständig der Nachwelt überlassen. Seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche hat diesen Nachlass mit großem Engagement zusammengetragen, aber sie schreckte auch vor Fälschungen nicht zurück. So wurden Nietzsches Schriften über seinen Tod im Jahr 1900 hinaus immer wieder zum Gegenstand von Auseinandersetzungen, Überarbeitungen und Neuauflagen. Auch deshalb sind die Originalmanuskripte für das Verständnis seiner Philosophie von besonders großer Bedeutung. Die immer wieder überarbeiteten Notizen dokumentieren sein Ringen um den richtigen Ausdruck und eröffnen so einen Blick in die Werkstatt des Philosophen. Die einzigartigen Manuskripte machen Nietzsche als kritischen Denker der Moderne verständlich.
„Nietzsches Texte sind ein Beitrag zum lebendigen Gedächtnis der Menschheit und nicht nur der Deutschen, weil er praktisch auf aller Welt immer wieder neue Wirkungen als Kritiker von Traditionen entfaltet hat. Nietzsche inspiriert und irritiert bis heute“ , so Helmut Heit, Leiter des Kolleg Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar.
Thüringens Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Christian Tischner, betont: „Dass Nietzsches Nachlass nun Teil des UNESCO-Weltdokumentenerbes ist, ist ein starkes kulturpolitisches Signal. Es würdigt nicht nur einen der unbequemsten Denker der Moderne, sondern auch die Arbeit der Klassik Stiftung Weimar, die diesen Nachlass über Jahrzehnte hinweg gesichert, erforscht und zugänglich gemacht hat. Nietzsche hat früh die großen Umbrüche der Moderne gespiegelt – seine Manuskripte sind Ausdruck einer intellektuellen Offenheit, die wir gerade heute brauchen. Die Auszeichnung erinnert uns daran, wie wichtig unabhängige kulturelle Institutionen für das Gedächtnis und die Zukunft unserer demokratischen Gesellschaft sind.“
Kern seines Nachlasses bilden seine Manuskripte, Notizen und Briefe, die heute im Goethe- und Schiller-Archiv der Klassik Stiftung Weimar aufbewahrt werden. Zu diesen einzigartigen Handschriften gehören die Entwürfe und Vorarbeiten zu fast allen von Nietzsche selbst veröffentlichten Aufsätzen und Büchern sowie unveröffentlichte Aufsätze, Kompositionen, biographische Zeugnisse, Konzepte, Skizzen, Exzerpte und beiläufige Notizen in Notizbüchern sowie Mappen mit Einzelblättern. Insgesamt sind es 16.505 Blatt. Das Goethe- und Schiller-Archiv bewahrt darüber hinaus 1.904 Briefe von und einen Großteil der Briefe an Friedrich Nietzsche auf.
Nietzsches Nachlass umfasst auch seine persönliche Bibliothek. Sie wird in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in der Klassik Stiftung Weimar aufbewahrt. Die Sammlungen der Bibliothek umfassen heute etwa 1.400 Bände, darunter 305 intensiv kommentierte Bücher sowie Handexemplare seiner eigenen Werke und Notendrucke.
Auch die Sammlungen seiner Manuskripte und Briefe in Basel gehören zu Nietzsches literarischem Nachlass. Die von Franz Overbeck, Jacob Burckhardt und anderen Personen gesammelten Materialien befinden sich in der Universitätsbibliothek Basel und im Staatsarchiv Basel-Stadt. Sie bilden die spezifische „Basler Tradition“ der Auseinandersetzung mit Nietzsches geistigem und biographischem Erbe. Zusammen mit der Sammlung Rosenthal-Levy, die heute in der Stiftung Nietzsche-Haus in Sils Maria aufbewahrt wird, machen diese Bestände etwa 10% des gesamten Nachlasses von Friedrich Nietzsche aus.
Das Weltdokumentenerbe vereint Buchbestände, Handschriften, Partituren, Bild-, Ton- und Filmaufnahmen, die kulturelle Wendepunkte der Menschheitsgeschichte markieren. In diesem Jahr waren 73 Dokumente und Sammlungen nominiert, darunter drei Eintragungen aus Deutschland.
An Nietzsches 125. Todestag, am 25. August 2025, wird die Präsidentin der deutschen UNESCO-Kommission, Prof. Dr. Maria Böhmer, die Urkunde in Weimar feierlich übergeben.
(Pressemitteilung Klassik Stiftung Weimar, 11.4.2025)
Klassik Stiftung Weimar (Pressemitteilung)
