Mit dem proklamierten »Tod Gottes« stellt Friedrich Nietzsche auch das Geschichtsdenken vor große Herausforderungen. Seine Wendung gegen vermeintlich absolute Standpunkte bedeutet jedoch keinesfalls einen Verzicht darauf, über Vergangenes zu urteilen.
Stattdessen verlangt er, in der Geschichtserkenntnis die eigenen (nihilistischen) Grundlagen zu reflektieren. Gerade Elemente wie der menschliche Leib und das Machtstreben, die Nietzsche in der philosophischen Tradition vernachlässigt sieht, können zum positiven Bestandteil einer genealogischen Geschichtserkenntnis werden. Dadurch, dass der Erkennende eingesteht, dass sein eigener Standpunkt perspektivisch ist, kann der Geschichte in einem endlichen Horizont ein starkes Gewicht gegeben werden. Hierbei soll die Denkfigur einer auf Erkenntnis ausgerichteten Feindesliebe zeigen, dass der Interpret seine Thesen weder absolut setzen noch relativieren muss. Die Frage nach blinden Flecken, die Nietzsches Denken insbesondere im Umgang mit seinen Idealgegnern Sokrates und Jesus prägen, folgt somit seiner Aufforderung, auch seine Gedanken auf ihre Genesis hin zu untersuchen.
Marcus Andreas Born, Nihilistisches Geschichtsdenken. Nietzsches perspektivische Genealogie, Wilhelm Fink, 2010, 347 Seiten, € 44.90, ISBN 978-3-7705-5049-4.
Mehr Infos hier.
Mark as favourite