Während die erste Phase der Wirkungsgeschichte Nietzsches, vom Beginn der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, vornehmlich als eine Phase der versuchsweisen Annäherung beschrieben werden kann, die, mehr noch als von einer gründlichen Kenntnis seiner Werke, von der starken Verbreitung eines romantischen Mythos (wie Gottfried Benn bemerkt hatte) über seine Existenz und seine Krankheit bedingt war, beginnt nach dem ersten Weltkrieg eine Phase grundlegender Auseinandersetzung und Aneignung.
Die Zeit zwischen den beiden Kriegen markiert einen ersten Höhepunkt der Nietzsche-Rezeption in Deutschland. Karl Löwith hat diese stark durch das Ringen gegensätzlicher Strömungen um eine neue Positionsbestimmung gekennzeichneten Jahre als “Zeit der Destruktion” bezeichnet.
Entsprechend kontrovers ist auch die Rezeption in dieser Periode. Denker wie Heidegger, Jaspers, Baeumler, Klages und eben Löwith, aber auch Literaten wie Robert Musil, Gottfried Benn, Ernst Bertram, Heinrich und Thomas Mann, George und sein Kreis, Ernst und Friedrich Georg Jünger, haben sich auf je unterschiedliche Weise, aber gleichermaßen intensiv mit Leben und Werk Friedrich Nietzsches auseinandergesetzt. Gleichzeitig erweitert und verstärkt sich Nietzsches Ruhm, so dass es immer schwieriger wird, die Rezeption seines Werks in den deutschsprachigen Ländern zu umreißen, ohne auch die europäische Auseinandersetzung über ihn zu berücksichtigen.
Sandro Barbera, Renate Müller-Buck (hg.), Nietzsche nach dem ersten Weltkrieg. Band I, nietzscheana (9), Pisa, ETS, 2006, pp. 360, ISBN 978-884671505-1, 30 euro.
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